Runter von den Barrikaden!
Nutzbarkeit und Erreichbarkeit im WWW

Jeder Nutzer des Internet kennt das: Websites, auf deren Startseite behauptet wird, die Pages seien "optimiert für" ein bestimmtes Browserfabrikat, eine bestimmte Bildschirmgröße, diese Netzwerktechnik oder jenes Zusatzprogramm. Auch wenn man zu den Glücklichen zählt, die in so einem Fall nicht erst einen neuen Computer kaufen müssen, runzelt man die Stirn:

Mit welchem Recht werden hier Bedingungen gestellt? Wieso wird hier eine virtuelle Barrikade aufgebaut? Schließlich soll eine Website doch vor allem informieren!

Und hat man dann Zugriff auf die Seiten, kommt man zuweilen ins Grübeln, ob der Betreiber des Auftrittes nicht insgeheim mit einem Optiker kooperiert und Umsatzprozente einstreicht.

Kein Medium ist so nutzerfreundlich wie das WWW!

Bei allem Humor aber ist das Thema nicht witzig. Webauftritte, die durch Barrieren unbenutzbar werden, sind schlicht ein Ärgernis. Dies um so mehr, als jede Barriere im World Wide Web vermeidbar ist. Tatsächlich kann das WWW sogar das nutzerfreundlichste aller Medien sein.

Als Beispiel die Schriftgröße: Wem seine Tageszeitung zu klein gedruckt ist, der muss eben notgedrungen zur Brille greifen. Im World Wide Web hat er dagegen die Möglichkeit, sich die Schriftgröße so einzustellen, wie es ihm passt. Nahezu alle Webbrowser ermöglichen das. Dabei mag das Layout einer Webseite etwas leiden - aber Webseiten sind schließlich Gebrauchsgegenstände und keine Kunstwerke.

Allerdings: Oft genug wird diese Möglichkeit eingeschränkt, weil der Anbieter einer Website die Schriftgröße unveränderlich vorschreibt. Und damit eine Barriere installiert, die die Nutzbarkeit und Erreichbarkeit von Informationen einschränkt oder gar unmöglich macht.

Einen neuen Browser oder ein Zusatzprogramm installiert man sich in der Regel nicht, um eine bestimmte Website betrachten zu können. Wer überdies behindert ist, kann solch einer Aufforderung vielleicht gar nicht nachkommen.

Für die Wirtschaft ist das Thema "barrierefreies Internet" leider oft nebensächlich. Für staatliche Betreiber von Websites dagegen sind Nutzbarkeit und Erreichbarkeit bzw. Zugänglichkeit obligat.

Zum einen haben die Webauftritte von Behörden meist eine Monopolstellung: Wer mit den Seiten der eigenen Stadt nicht klarkommt, kann ja nicht eben zur Nachbargemeinde surfen, um benötigte Informationen dort abzurufen.

Zum zweiten besteht der Anspruch, dass mit Steuergeldern erstellte Netzangebote auch allen Bürgern dieses Landes offen stehen.

Für alle öffentlichen Angebote von Bundesbehörden gibt es dementsprechend die "Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung" (BITV), eine Rechtsverordnung zum Bundesgleichstellungsgesetz:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.fernuni-hagen.de/ FTB/ new/ service/ eaccess/ doc/ rechtsverord.htm
(Derzeit gelten noch Übergangsfristen.)

Die BITV legt fest, welche Anforderungen Internetauftritte erfüllen müssen, um für jedermann nutzbar zu sein. Sie lehnt sich dabei an internationale Standards an.

Mentalitätswandel: Gehalt vor Gestalt

Was im Deutschen als "Barrierefreies Internet" bezeichnet wird, wird im Englischen als "Nutzbarkeit" ('Usability') und als "Erreichbarkeit" bzw. "Zugänglichkeit" ('Accessibility') angesprochen. Nutzbarkeit zielt dabei eher auf 'weiche' ergonomische Fragen, Zugänglichkeit auf 'harte' Barrieren. Beide Begriffe umfassen sowohl menschliche wie auch technische Aspekte.

Menschliche Aspekte zielen darauf, dass Webseiten 'behindertengerecht' sein müssen. Dabei sind 'Behinderungen' vielfältig und betreffen beileibe nicht nur Randgruppen:

Das World Wide Web bietet die Möglichkeit, trotz jeder dieser Behinderungen die angebotenen Informationen dennoch aufzunehmen. Vorausgesetzt, diese Möglichkeiten werden seitens der Anbieter genutzt.

Zu diesen menschlichen Behinderungen gesellen sich technische. Und dies nicht, wie oft angenommen wird, in Form alter Computer. Sondern im Gegenteil: In Form neuer, ja modernster Computer! Neben den PCs als 'klassischen' Geräten für den Zugriff auf das Internet etabliert sich immer mehr andere Hardware.

Die mobile 'Info-Elite' nutzt Handheld-Computer und Mobiltelefone, um sich unterwegs zu informieren. Wer aber gerade das briefmarkengroße Display seines Tragfons vor Augen hat, muss meist auf Farben und Grafiken verzichten. So jemand ist gar nicht in der Lage, einen größeren Bildschirm zu benutzen.

Dies sind nur einige der technischen Implikationen; etwas detaillierter sind sie hier dargestellt:
http://www.ude.de/ internet/ www-unschaerfe.html

Ebenso wie jede menschliche Behinderung lässt sich auch jede technische Barriere bei der Internet-Nutzung umgehen. Genau darin liegt ja der große Vorteil dieses Mediums.

Um diesen Vorteil zu nutzen, ist aber ein Mentalitätswandel der Anbieter nötig. GEHALT geht vor GESTALT. Informations-Strukturierung muss Vorrang haben vor Screen-Layout. Schließlich ist das Web eher eine Bibliothek als ein Museum.

Die Dachorganisation des WWW, das 'World Wide Web Consortium' (W3C), hat deswegen schon lange eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die 'Web Accessibility Initiative' (WAI).

Deren wichtigstes Ergebnis bislang sind die "Web Content Accessibility Guidelines" (WCAG), von denen auch eine deutsche Übersetzung vorliegt:

Zugänglichkeitsrichtlinien für Web-Inhalte 1.0:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.w3.org/ Consortium/ Offices/ Germany/ Trans/ WAI/ webinhalt.html

Es gibt sie auch als kurze Liste der Checkpunkte zu den Zugänglichkeitsrichtlinien für Web-Inhalte 1.0:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.w3.org/ Consortium/ Offices/ Germany/ Trans/ WAI/ checkpunkt-liste.html

Die oben genannte "Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung" (BITV) nimmt ausdrücklich auf dieses Dokument bezug.

Text as Text can

Die Zugänglichkeitsrichtlinien definieren drei Stufen von Maßnahmen, um Webauftritte zu verbessern: "Muss", "Sollte" und "Kann". Sie enthalten naturgemäß viele technische Einzelheiten. Man kann aber folgende Hauptforderungen zusammenfassen:

Nun werden die meisten Webauftritte von Agenturen erarbeitet. Diesen also muss es auferlegt werden, die WCAG bei ihrer Arbeit zu beachten. Am besten wird bei Auftragserteilung gleich ein Pflichtenheft erstellt, das festschreibt, welchen Anforderungen der Auftritt zu genügen hat.

Ebenso sinnvoll ist es, auf einer umfassenden Dokumentation der Arbeit zu bestehen. Dies schon allein, damit der Auftraggeber nötigenfalls von der Webagentur unabhängig ist.

Das Ziel ist klar: Jeder Webauftritt muss (technisch und orthographisch) fehlerfrei sein und umfassende Nutzbarkeit und Zugänglichkeit ermöglichen. Diesem Ziel müssen alle anderen Aspekte untergeordnet werden.

Die Werbeaussage, ein Webauftritt könne etwa von 92% aller Surfer genutzt werden, ist genau betrachtet keine Werbung. Übersetzt heisst das, dass von 10.000 Bürgern immerhin 800 (Achthundert!) den Auftritt nicht nutzen können. Das ist nicht akzeptabel.

Oft werden gegen Nutzbarkeit und Erreichbarkeit Argumente angeführt, die schlicht ins Reich der Mythen gehören. Etwa, dass barrierefreie Webseiten langweilig aussehen müssten. Acht dieser Mythen (und deren Widerlegung) finden Sie hier:

8 Mythen über zugängliche Webseiten:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.andreas-hollmann.de/ netztips/ zugaenglichkeit.html
Englische Quelle:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.htmlhelp.org/ design/ accessibility/ myths.html

Generell scheint es häufig, dass viele Barrieren nicht in der Sache begründet sind. Information kann bis auf sehr wenige Ausnahmen als Text kommuniziert werden. Um es deutlich zu sagen:

Die meisten Barrieren im WWW resultieren aus der Verspieltheit und der Gedankenlosigkeit der Anbieter.

Seit Jahren beschäftigt sich Jacob Nielsen mit diesem Themenfeld. Bekannt wurde er u.a. durch sein empfehlenswertes Buch "Erfolg des Einfachen" (München : Markt &Technik Verlag), ISBN 3-8272-5779-4). Die von ihm betriebene Website
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.useit.com/
ist eine Quelle ersten Ranges für jeden, der sich mit Nutzbarkeit auseinander setzen möchte. Die von Jacob Nielsen verfassten Kolumnen mit dem Titel "Alertbox" gibt es seit 2002 auch in deutscher Übersetzung:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.usability.ch/ Alt_nav/ Alertbox/ NJ_Main.htm

(Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Seite normalerweise entweder durch eine Javascript-Navigation oder durch ein Frameset erreicht wird.)
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.usability.ch/ Alertbox/ main.htm [Javascript]
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.usability.ch/ Alt_nav/ frameset.htm [Frames]

Abschliessend seien einige hilfreiche weiterführende Links genannt:

Web Accessibility Links:
Über 360 Links zu Barrierfreiheit, Accessibility und Usability. Deutschsprachige und englischsprachige Sites sind klar gekennzeichnet.
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.webaccessibility.de/

Deutsche Übersetzungen grundlegender Texte:
Hier finden Sie Dokumente des W3C, normative Texte, Einführungen und Zusammenfassungen, wichtige Artikel und andere Links.
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.subotnik.net/ de-trans/

Barrierefreie Web-Entwicklung: Websites für Behinderte:
Die öffentlich zugänglichen Seiten eines Kurses von akademie.de.
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.akademie.de/ websiteaufbau/ kurse/ gestaltung/ kurs-barrierefreies-web/ index.html

Einfach für Alle:
Die Aktion Mensch präsentiert hier etliche Artikel und Links zum Thema. Erwähnenswert ist der Newsletter und das Tutorial: "Bessere Formulare".
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://www.einfach-fuer-alle.de/

Dieser Text ist erschienen in:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | BEGIX-Infodienst der Bertelsmann Stiftung, Nr. 5, 11.09.2003

Nachgedruckt in:
spLITter. - IT-Nachrichten für die Berliner Verwaltung. - Nr. 4/2003. - S. 50-52

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