Die "Unschärfe" des World Wide Web
Warum Medienproduzenten im Internet umdenken müssen.
Das World-Wide Web ist das bekannteste der so genannten neuen Medien. Neu ist an diesem Medium vor allem eines: Es ist nicht so kontrollierbar wie 'traditionelle' Medienerzeugnisse.
Normalerweise hat der Produzent die Kontrolle über sein Produkt. Zu hundert Prozent. Wer einen Film dreht, weiß exakt, was darin gezeigt wird. Wie lange er dauert. Und wie er aussehen wird - egal, welchen Fernseher der Zuschauer hat, egal, wie groß die Leinwand ist. Wer eine Zeitschrift herausgibt, kontrolliert alles. Inhalte und Gestaltung. Was drinsteht, welche Bilder und Graphiken gezeigt werden, sogar das verwendete Papier und die Bindung unterliegen seiner Entscheidung.
Das ist im World Wide Web anders. Diesen Grad der Endkontrolle über das Produkt gibt es im WWW nicht. Das Produkt 'Webseite' entsteht beim Nutzer. Und es unterscheidet sich, je nachdem, welche Geräte der Nutzer einsetzt, und wie er diese konfiguriert hat.
Diese "Unkontrollierbarkeit" des Web ist genau betrachtet kein Nachteil, sondern ein großer Vorzug vor anderen Medien: Der Empfänger kann die Informationen so aufnehmen, wie er es am besten kann.
Dafür, wie eine Webseite beim Nutzer ankommt, sind drei Arten von Faktoren maßgeblich: Die Leitungsanbindung des Nutzers, seine Geräte (die so genannte Hardware) und die von ihm eingesetzten Programme (so genannte Software).
Die Leitungsanbindung
Unter "Leitungsanbindung" sei hier der gesammte Übermittlungsweg der Daten vom Webserver des Anbieters bis zum Browser auf dem Computer des Lesers verstanden. Folgende Punkte beeinflussen, was beim Empfänger ankommt. Und auch, wie und wie schnell es ankommt:
- Kapazität: Jede Leitung kann nur eine bestimmte Menge an Daten tranportieren. Diese Datenmenge sinkt, wenn die Leitung nicht exklusiv genutzt wird oder irgendwo ein Engpass ein (so genannter Bottleneck) ist. Die Kapazität ist maßgeblich für die objektive Ladezeit.
- Klar ist, dass Webseiten erst ganz dargestellt werden können, sobald sie komplett übermittelt sind. Dennoch können die oberen Teile vieler Seiten bereits vom Browser angezeigt werden, obwohl die unteren noch übertragen werden. Die subjektive Ladezeit sinkt dadurch. Ob das geschieht, hängt von der Programmierung der Seiten ab.
- Viele Nutzer (etwa in Firmen oder Behörden) arbeiten hinter einer so genannten Firewall, einer Schutzmassnahme gegen Angriffe aus dem Internet. Viele dieser Nutzer können nicht frei entscheiden, welche Techniken sie verwenden (insbesondere Java, Javascript und ActiveX sind oft zwangsweise deaktiviert) oder welche Browser bzw. Browserversionen sie anwenden. Denn das entscheidet der zuständige Systemverwalter.
- Ebenso verwenden viele Firmen- und Behördennetze Proxy-Server, oder der die Nutzer verwenden lokale Caches. Beides sind spezielle Zwischenspeicher, die die Menge der aus dem Netz geladenen Daten redizieren, in dem sie einmal geladene Seiten aufheben und bei zweiter Anforderung erneut liefern. Darunter kann die Akutalisierung der Webseiten leiden, ohne dass deren Nutzer dies bemerkt.
Die Hardware
Die Hardware umfasst alle physischen Geräte, die ein Nutzer verwendet, um ins Internet zu gehen. Sie beeinflußt die Art des Zugriffes aufs Netz wesentlich:
- Die Art des Computers: Der klassische PC verliert seine Rolle als einizges Gerät, um im Internet zu surfen. Immer mehr Nutzer verwenden mobile Geräte wie Notebooks, Handheld-Vomputer oder internetfähige Mobiltelephone.
- Der Bildschirm: Seine Größe wird sowohl als Bildschirmdiagonale in Zoll wie auch als Breite und Höhe in Bildpunkten (so genannten Pixeln) angegeben. Auf PCs sind verschiedene Bildschirmgrößen verbreitet, und ein PC-Besitzer kann mit relativ wenig Aufwand einen größeren Bildschirm anschließen. Wer ein Notebook, einen Handheld oder ein Mobilelephon verwendet, hat diese Möglichkeit nicht.
- Die Pixelgröße: Bildschirme sind aufgeteilt in Bildpunkte, so genannte Pixel. Allerdings ist die Größe der Pixel nicht auf allen Bildschirmen gleich. Die Vorgabe 12 px für "12 Pixel" kann also zu unterschiedlich großen Resultaten führen.
- Die Graphikkarte ist ein Chip. Dieser besondere Prozessor berechnet, was auf dem Bildschirm angezeigt wird. Er ist insbesondere veranwortlich für die so genannte Farbtiefe, die maximale Anzahl der darstellbaren Farben.
- Zu den genannten Geräten kann weitere Hardware hinzukommen, etwa Drucker. Auch bei diesen weiteren Geräten gibt es große Abweichungen.
Die Software
Wer im WWW surft, benutzt dazu einen Programm, den so genannten Webbrowser. Dieser kann (durch das Protokoll HTTP) mit Webservern kommunizieren und (in HTML geschriebene) Webseiten anzeigen. Soviel ist klar. Und mehr ist nicht klar.
Die eingesetzte Software bewirkt entscheidend, wie dem jeweiligen Nutzer eine Webseite angezeigt wird - ohne dass der Anbieter der Seite dies erfährt oder es beeinflussen kann.
- Browser gibt es in unzähligen Varianten, und diese wiederum in verschiedenen Versionen. Sie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer technischen Leistungsfähigkeit - welche Befehle sie interpretieren - als auch hinsichtlich der Darstellung. Ein und dieselbe in HTML programmierte Webseite sieht in jedem Browser anders aus. Die Unterschiede sind mal marginal, mal gravierend, in jedem Fall nur durch aufwendige Tests nachzuvollziehen.
Viele Nutzer, insbesondere in Firmen und Behörden, können nicht frei entscheiden, welchen Browser in welcher Version sie einsetzen. - Die Schriftgröße ist im Browser voreingestellt, wobei die Nutzer dies konfigurieren können. Früher oder später wird sich jeder die ihm genehmste Fontgröße einstellen. Browser können so konfiguriert werden, dass anbieterseitige Spezifikationen ignoriert werden.
- Schriftarten müssen im Rechner des Anwenders als Datei vorhanden und installiert sein. Je "exotischer" eine verwendete Schriftart, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei vielen Nutzern vorhanden ist.
Erfahrene Anbieter beschränken sich deswegen darauf, nur die "Schriftfamilie" (Serifenschrift, serifenlose Schrift, dicktengleiche Schrift) festzulegen, die konkrete Schriftauswahl aber den Voreinstellungen des Nutzers zu überlassen. - Schriftarten zum Download anzubieten, was einige Webseiten vorsehen, hat sich nicht plattformübergreifend durchgesetzt und funktioniert nur auf wenigen Browsern. Und nur mit Zustimmung der Nutzer.
(Die Aufforderung dazu stellt allerdings für alle Nutzer eine Störung dar.) - Graphiken werden standardmässig durch die Webbrowser abgerufen. Viele Nutzer lassen sich Webseiten allerdings nur als Text anzeigen und laden nur einzelne Graphiken nach. Einfach, weil das schneller geht. Nutzer mobiler Geräte müssen auf Graphiken ohnehin verzichten.
- Weitere Techniken wie etwa Cascading Style Sheets (CSS), Javascript, Java sollten allenfalls alternativ eingesetzt werden, d.h. die Webseiten müssen auch ohne diese Features nutzbar und informationstragend sein. Viele Nutzer verzichten (z.B. aus Sicherheitsüberlegungen) auf diese Techniken.
- Für externe Techniken, die so genannte Plug-Ins (Zusatzprogramme) voraussetzen, etwa Macromedia Flash, Adobe Acrobat Reader und nahezu alle Video- und Audio-Plug-Ins gilt dasselbe. In vielen Browser sind sie bereits (im Lieferumfang) enthalten. Nicht in allen. Aber viele verantwortungsbewußte Systemverwalter achten darauf, ihr Funktionieren zu unterbinden.
Fazit
Für den Betreiber eines Webauftrittes gibt es keine Möglichkeit der Feinsteuerung, wie das Endprodukt (seine Webseite) für den Nutzer aussieht. Nur selten wird es so sein wie auf dem eigenem Rechner. Insbesondere kann er sich nicht auf das Funktionieren von Zusatztechniken verlassen.
Nur, wer einen Metalitätswandel vollzieht und akzeptiert, dass er das Aussehen nicht kontrollieren kann, wird in der Lage sein, gute Webseiten vorzulegen. Denn wichtiger als das Aussehen der Seiten ist deren Inhalt: Gehalt geht vor Gestalt!
Ebenso ist es nicht angeraten, die neuesten Techniken anzuwenden, sondern im Gegenteil gerade diejenigen, die sich schon am längsten verbreiten konnten. Diese ermöglichen am ehesten Resultate, die auf jedem Computer funktionieren werden.
Der "Kontrollverlust" bezieht sich nicht nur auf die einzelnen Seiten, sondern auch auf die Website insgesamt. Ein Buch oder ein Film werden linear von vorn nach hinten gelesen oder gesehen. Diese Linearität schreibt das Web nicht vor. Der Nutzer steigt ein wo er will, nicht unbedingt auf der Startseite. Sein Weg von Seite zu Seite ist kaum vorauszusagen. Und ebensowenig, wo er die Website wieder verlässt.
Je besser aber eine Site ist, desto später wird er dies tun.