Augen auf und genießen - Teekult in China

Bis zu den Opiumkriegen, als die Europäer China gewaltsam öffneten, war die Stadt ein unbedeutendes Fischernest. Heute ist Shanghai die Boomtown Chinas, von der viele glauben, daß sie Hong Kong bald den Rang ablaufen wird. Hier ist China am quirligsten: Allenthalben sprießen die Wolkenkratzer gen Himmel, Busse und Bahnen sind stets überfüllt, und was sich auf den Bürgersteigen abspielt, würde hierzulande glatt als Demonstration durchgehen. Hier, auf etwa einem Viertel der Fläche Hamburgs, leben mehr als zwölf Millionen Menschen. Hier ist es noch enger als sonstwo in China.

Ein wenig von der kolonialen Vergangenheit ist geblieben, an The Bund, der Uferpromenade und Flaniermeile am Fluß Huangpu. Der Besucher staunt über die ältesten Hochhäuser Ostasiens, die vielleicht bis heute die schönsten sind; er stürzt sich in das Treiben der berühmten Geschäftsstraßen. An ihrem Südende beginnt das alte French Settlement (Croissants zum Frühstück und zhu kafei, "gebrühter" Kaffee, sind dort am leckersten).

Noch ein paar Schritte, und die alte Chinesenstadt beginnt. Ihre Mauern stehen nicht mehr, aber die engen, gewundenen Gassen und die kleinen Häuser sind geblieben. Auch Yuyuan, den "Garten der Freude", gibt es noch. Früher gehörte er einer betuchten Händlerfamilie, heute ist der Park allen zugänglich.

Selbstverständlich gehört ein See dazu. Auf einer kleinen Insel darin liegt der Huxinting, ein zweigeschossiger Pavillon, das berühmteste Teehaus Chinas. Hier läßt sich genießen! Es bietet unzählige Teesorten ab - darunter viele Spitzenqualitäten. Fast alle sind Grüntee, der in winzigen Kannen speziell aufgebrüht wird. Zu einem in Europa üblichen Tee verhält er sich wie ein Espresso zum Brühkaffee: stark und aromatisch. Dazu gibt es passende Knabbereien, süß eingelegte Mangostreifen etwa, oder - sehr beliebt - Trockenfisch. Lektüre und Spiele für Einzelne und Gruppen machen Lust zu bleiben. Das Obergeschoß besteht nur aus Fenstern, die eine kühle Brise hereinlassen und den Blick auf den Park und über die Dächer ermöglichen. Aber auch drinnen lädt es ein, die Blicke schweifen zu lassen. Die Nachbartische sind gut gefüllt mit Gruppen von Chinesen, die lesen, Majiang oder Xiangqi (China-Schach) spielen, schwatzen. So vergeht die Zeit auf schönste Weise.

Über ganz China verstreut, namentlich in den Anbaugebieten des Südens, finden sich solche Teehäuser, nicht immer so stilvoll, oft auch derb. Wer sie besucht, bekommt nicht nur guten Tee, er hält auch sein Ohr an den privaten Herzschlag Chinas.

Gelegenheiten hierzu finden sich von morgens früh bis tief in die Nacht und auf offener Staße. Schon in der Dämmerung kommen die ersten Gruppen zusammen, um sich mit Taiqiquan, "Schattenboxen", fitzuhalten, bevor die überdachten Märkte öffnen und mit frischer Ware und schmackhaften Häppchen zum Frühstück locken.

Alte Männer genießen ihren Morgenspaziergang. Sie haben ihre Kanarienvögel in Bambuskäfigen dabei. Die kleinen Piepmatze werden dann im Kreis aufgestellt, damit sie sich unterhalten können. Die alten Herren schweigen sich natürlich auch nicht an. Und wieder: Jeder hat seinen Teebecher in der Hand, und der wird an diesem Tag nicht mehr kalt - wie an jedem aderen vermutlich auch.

Einreise VR China: Paß und Visum erforderlich, wird von der Botschaft der Volksrepublik China ausgestellt, Telefon [0228] 955 97-0, Fax [0228] 36 16 35
Wetter (in Shanghai): Ausgedehnte Sommer, kurze, kalte Winter.
Beste Reisezeit: Frühjahr oder Herbst.
Flugzeit: ca. 15 Stunden
Reiseführer: "China : A Travel Survival Kit", Lonely Planet, 67 Mark

Erschienen in:
Welt der Wunder, Jg. 1, H. 5, S. 46-47. - Berlin, 1998.

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