Echos aus dem Ameisenhaufen
Social Software und die Unterschiede zwischen journalistischer Produktion und Blogging

Von Albrecht Ude
Freier Journalist und Rechercheur

Das Mäuschen fliegt, der Web-Stuhl kracht,
Wir webben emsig Tag und Nacht – Altjournaille, wir bloggen dein Leichentuch,
Wir scripten hinein den dreifachen Fluch – Wir webben, wir webben!

[ "Die bloggenden Webber"
Externer Link (Klick für Erklärungen): | http://dirkhesse.com/ligneclaire/dieblogger ]

Durch die Blogosphere ist ein neuer Weg entstanden, um Publizität zu erlangen. Das verunsichert Journalisten und Medienplaner – ebenso übrigens Firmen und PR-Berater.

Die Diskussion um Blogs mit all ihrer Voreingenommenheit und all ihren Missverständnissen erinnert an die Zeit, als das Internet populär wurde. Witterten die einen demokratische Meinungsmorgenluft, schnupperten andere anarchischen Schmähsudel.

Seit 1995, als die Internetnutzung in Deutschland populär wurde, hat sich keine dieser Befürchtungen bzw. Hoffnungen erfüllt. Die meisten Angebote deutscher Medien im Netz sind hinsichtlich ihrer Internetnutzung banal. In keinem Business-Plan findet sich eine Idee, die das Medium weiterentwickelt hätte. Die simpelste Nutzung des Web – Links auf andere Websites – wird beschämend selten genutzt, sieht man von Medien aus der Computerszene ab. Die meisten externen Links deutscher Medienseiten verweisen auf eingeblendete Werbung. Die Geschäftsmodelle vieler Medien müssen überarbeitet werden sind gescheitert. Es keine Polemik, zu behaupten, dass in vielen deutschen Medien Netzaffinität und Kenntnis des Internet ein hohes Entwicklungspotenzial haben nicht vorhanden sind. Online-Auftritte etablierter Medien sind zumeist isolierte Inseln; zwar nutzen sie die Technik des Internet, ignorieren aber die Inhalte. Und die Möglichkeiten erst recht.

Und auf einmal tut sich etwas, was Journalisten und Medienplaner aufhorchen läßt.

Social Software

In der Diskussion um neue Formen der Öffentlichkeit im Internet hört man immer wieder das Wort "Social Software". Der Terminus wirkt wie ein Paradoxon. Software, Programme, auf Computern ausführbare Abfolgen von Nullen und Einsen – was sollte daran "sozial" sein? Doch dahinter verbergen sich neue Formen der Internetnutzung, die durchaus soziale Auswirkungen haben. Für einzelne Nutzer ebenso, wie für die gesamte Gesellschaft.

Ein Beispiel für Social Software ist die bekannte Suchmaschine Google. Wie jede Search Engine steht sie vor dem Problem, die Ergebnismenge einer Suchanfrage ordnen zu müssen. Nur ein Ergebnis kann auf Platz eins stehen, nur eines auf Platz zwei usw. Dabei sollen selbstredend die wichtigsten Ergebnisse zuoberst erscheinen. Was aber ist am Wichtigsten?

Google praktizierte erstmals das Verfahren, nicht nur die Dokumente selbst zu analysieren, sondern zu untersuchen, wie viele Links von anderen Websites auf die Dokumente verweisen – der so genannte "Page Rank"-Algorithmus. Dadurch wird die Relevanzfrage de facto von den Nutzern des Internet entschieden: Je mehr externe Links auf eine Webseite verweisen, desto wichtiger wird sie sein. Diese Hypothese hat sich als praxistauglich erwiesen.

Mit dem Page-Rank-Verfahren begann Google, nicht nur die Techniken des Internet zu nutzen, sondern das Wissen der Nutzer zur Basis des eigenen Erfolges zu machen – nichts anderes meint Social Software. Beispiele:

Die freie Enzyklopädie Externer Link (Klick für Erklärungen): | Wikipedia beruht im Kern ihres Konzeptes darauf, dass Jeder dort Beiträge schreiben oder vorhandene Einträge editieren kann – auch anonym. Das gleiche Prinzip gilt auch für andere Wiki-Projekte, etwa Externer Link (Klick für Erklärungen): | Wikinews. Andere Netzprojekte, stellvetretend für viele seien das Bildportal Externer Link (Klick für Erklärungen): | flickr und die Bookmarkverwaltung Externer Link (Klick für Erklärungen): | del.icio.us genannt, gestatten es ihren Nutzern, Dokumente privat, für Familien- und Freundeskreise oder öffentlich bereitzustellen, zu verlinken, gemeinsam zu nutzen und Rückmeldungen über das Ausmass der Nutzung zu bekommen. Dadurch entstehen auch soziale Beziehungen.

Blogs

Technisch gesehen sind Blogs nichts Neues. Es sind Websites. Gemessen daran, was möglich ist, sogar solche mit eingeschränkter Funktionalität. Wie auf einer antiken Schriftrolle werden die neusten Einträge oben plaziert, während die älteren nach unten rutschen und irgendwann – meist automatisiert – ins Archiv verschoben werden. Aber die rein technische Beschreibung greift zu kurz, um dem Phänomen "Weblog" gerecht zu werden.

Eine der ältesten Blogger-Communities heißt Externer Link (Klick für Erklärungen): | "antville", Ameisenhaufen. Der Name ist programmatisch für die so genannte "Blogosphere". Weblogs nutzen die Möglichkeiten von Hypertext – das Verlinken auf andere Dokumente – viel stärker als die meisten Websites. Nicht nur der gesamte Blog oder eine seiner Webseiten, sondern jeder einzelne Beitrag kann verlinkt und kommentiert werden. In "Blogrolls" zeigen und verlinken Blogger ihre persönlichen Favoriten. Durch "Trackbacks" wird automatischer Link-Tausch zwischen zwei Blogs ermöglicht. Durch "Pingback" geben Blogs Nachricht über neue Einträge an spezielle Verzeichnisse. Durch "Feeds" können Nutzer die Fortschreibung des Blog abonnieren. Auf diese Weise entsteht die "Blogosphere": ein hoch vernetzter Teil des Internet, in dem sich neue Nachrichten mit rasender Geschwindigkeit verbreiten können. Ein Resonanzkasten.

Hier wird der Journalismus berührt. Die Frage, ob Blogs Journalismus sind oder nicht, hängt nicht davon ab, ob die Blogger eine journalistische Ausbildung haben oder nicht. Und auch nicht davon, wie sie schreiben; viele Journalisten nutzen ihre eigenen Blogs dezidiert für nichtjournalistische Texte. Blogs sind unausgewogen subjektiv – bei etablierten Medien nennt man das "Meinungsstärke". Blogger schreiben über das, was sie interessiert und was sie betrifft. Wie relevant das für andere ist – egal! Blogger ignorieren die Relevanzprüfung, die für Journalisten eine Kernkompetenz ist. Einer der Hauptvorwürfevorurteile gegenüber Blogs ist, dass dort "Müll" publiziert werde. Auf der anderen Seite zeigt ein Blick in die Bild-Zeitung (oder in das Externer Link (Klick für Erklärungen): | BILDblog), dass gerade Journalisten oft ihre Schwierigkeiten haben, die Relevanz von Themen festzustellen.

Alles wird veröffentlicht, die Relevanz zeigt sich an der Resonanz. Das funktioniert. Kein Massenmedium hatte die merkwürdigen Geschäftspraktiken des Klingelton(abo)anbieters Jamba thematisiert, ehe im Externer Link (Klick für Erklärungen): | Spreeblick der Externer Link (Klick für Erklärungen): | "Jamba-Kurs" erschien – bis heute eine der meistverlinkten Einträge auf einem deutschsprachigen Blog. Erst nach dieser Story sah sich Jamba mit kritischen Fragen von grossen Redaktionen und Sendern konfrontiert.

Blogs sind voll von Geschichten, die das Leben schreibt, jeden Tag. Sie werden gelesen, verlinkt, diskutiert. In einer Geschwindigkeit, die traditionelle Medien (auch online) nicht erreichen können.

Und ja auch gar nicht sollen. Recherche, Überlegung, Rücksprache, Analyse – all das braucht schliesslich Zeit, ehe das erste Wort getippt ist. Journalisten sollen nicht Fakten-Fakten-Fakten liefern, sondern Hintergründe, Zusammenhänge, Fragen. Sie sollen (bei allem Produktionsdruck) sich die Zeit nehmen und die Zeit haben, ein Thema zu durchdringen.

Für Medien, die journalistische Qualität liefern, wird kein Blog zum "Leichentuch".

Dennoch: Von all den Blogs wäre nicht halb so viel die Rede, wenn die medialen Angebote sich hätten entschließen können, das Internet intelligent zu nutzen. Wäre das zu viel verlangt?

Durch die Blogosphere ist ein neuer Weg entstanden, um Publizität zu erlangen. Es spricht nichts dagegen, dass auch Journalisten und Redaktionen diesen Weg nutzen.

Dieser Text ist erschienen in:
Externer Link (Klick für Erklärungen): | nr-Werkstatt: Online-Journalismus : Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Internet-Kommunikation / hrsg. v. netzwerk recherche. -
Wiesbaden, © 2003. - 160 S., Broschur
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